Frustrated job seeker reading job offers

29.12.2025

Der kleine Moment, der Identifikation auslöst oder verhindert

Der kleine Moment, der Identifikation auslöst oder verhindert

Der kleine Moment, der Identifikation auslöst oder verhindert

„Abwechslungsreiche Aufgaben.“

Wie oft hast du diesen Satz eigentlich schon gelesen? Gefühlt bietet das jeder an. Klingt ja nett. Aber was soll es konkret heißen?


  • „Abwechslungsreich“ - Bezieht sich das auf die Entwicklungsmöglichkeiten? Oder bedeutet es im Alltag ein ständiges Hin und Her?

  • Wenn es so viel Abwechslung gibt, was sind dann die Kernthemen und was die Ausnahmen?

  • Wer entscheidet, welche Aufgabe Priorität hat, wenn alles gleichzeitig wichtig ist?

Solche Überlegungen laufen in den Köpfen unzähliger Stellensuchender ab.

Wir machen an dieser Stelle einen Cut und wechseln bewusst die Perspektive. Auf eure Seite. Zu Unternehmen, die tagtäglich mit der besten Intention Stellenanzeigen veröffentlichen. Aber dabei Platzhalter-Formulierungen und Employer-Branding-Texte verwenden, die im Kopf der Bewerbenden hauptsächlich Unsicherheit verursachen. Anstelle von Sicherheit und Zugehörigkeit.


Vom Claim zur Wirkung: warum Employer-Branding-Sprache entscheidet, wer sich gemeint fühlt


Wie gelingt eurem Unternehmen nun der Schritt von gut klingenden Claims zu einer Sprache, die bei Bewerbenden Identifikation mit eurer Arbeitgebermarke auslöst?

Vielerorts werden Employer-Branding-Texte noch immer wie reine Informationsmedien behandelt: korrekt, vollständig, professionell. Aber ohne echte Signalwirkung. Ihre tatsächliche Bedeutung im Hinblick auf authentische Kulturkommunikation wird verkannt. Dabei sind Stellenanzeigen für viele Bewerbende einer der ersten Kontaktpunkte mit einem Unternehmen, die Arbeitgeberkultur glaubwürdig kommunizieren. Oder eben auch nicht.

Genau das zeigt auch Forschung zur Wirkung von Jobanzeigen. Die Art, wie beispielsweise Kultur, Arbeitsumfeld oder Werte dargestellt werden, ist für Talente ein wichtiges Entscheidungskriterium. Findet Identifikation statt, entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl und die Chance steigt, dass Menschen weiterlesen statt abzuspringen. Denn für Bewerbende geht es nicht nur um Zahlen, Daten, Fakten rund um die neue Position. Sondern sie nutzen intuitiv Wording und Tonalität zum Abgleich von Werten mit dem potenziellen neuen Arbeitgeber. Anders gesagt: Ob sich ein Claim für sie wie Einladung liest oder wie Marketing-Hochglanz.

Diese Passung wird besonders schnell an Signalen sichtbar wie:

  • Führung / Entscheidungskultur: kontrollierend oder vertrauensbasiert?

  • Sicherheit / Orientierung: klare Struktur oder vage Erwartungen?

  • Nähe / Distanz: menschlich oder formell?

  • Tempo / Erwartungsdruck: priorisiert oder alles gleichzeitig?

  • Autonomie / Gestaltungsspielraum: Initiative erwünscht oder nur abarbeiten?

Verantwortliche unterschätzen das Feingefühl, mit dem Stellensuchende buchstäblich „zwischen den Zeilen“ lesen und sehr schnell für sich aufdecken, ob das vermittelte Bild der Unternehmenskultur in sich stimmig ist. Bewerbende müssen das nicht analytisch benennen. Sie spüren es. Und genau dieser kleine Moment entscheidet, ob jemand weiterliest und sich gemeint fühlt. Oder innerlich schon beim nächsten Unternehmen ist.


Warum gute Absichten oft nach Standard klingen


Aber wie entsteht nun das buchstäbliche Missverständnis in so vielen Employer-Branding-Texten? Durch meine jahrelange Recruiting-Erfahrung kenne ich die Herausforderungen und Mechanismen im Hintergrund sehr gut. Daher kann ich die vielfältigen Gründe nachvollziehen, warum gerade Stellenanzeigen durchzogen von Standard-Formulierungen sind. Es liegt keineswegs nur am Unvermögen von „HR“. Unterschiedliche Fachbereiche, Tool-Limitierungen, CI-Vorgaben… der ständige Spagat zwischen den zahlreichen Anforderungen hat seinen Preis: diesen zahlt meistens das konkrete Wording.

Die Folge sind - wie in unserem Eingangsbeispiel - Stellenanzeigen oder Karriereseiten, die zwar korrekt aufgesetzt sind, sich beim Lesen aber wie Teflon im Kopf anfühlen. Die Bewerberansprache mit den wohlbekannten Standard-Formulierungen wirkt glatt und erzeugt kaum Identifikation.

Identifikation braucht aber Ankerpunkte. Sonst kippt die übermittelte Botschaft von der Einladung zu reiner Marketing-Hülle. Vage Claims mit widersprüchlichen Formulierungen oder ohne Text-Belege fühlen sich nur nach Worthülsen an. Nicht, weil an der Aussage etwas „falsch“ wäre, sondern weil es im Text nicht überprüfbar wird.

Typische Muster, an denen ihr das erkennt:

  • Behauptung ohne Beispiel: Unternehmenskultur wird hervorgehoben, aber nicht durch Alltagssituationen veranschaulicht.

  • Unklare Versprechen: „Bei uns wird es so gemacht…“ – ohne Konkretisierung durch „wie“, „woran“, „in welchem Kontext“.

  • Ton-Widerspruch: Wertschätzung wird angepriesen, aber der Sprachstil ist prüfend formuliert („Es wird erwartet…“).

  • Überladung: Alles für alle. Dadurch fühlt sich in der Realität niemand angesprochen.

  • Fehlende Grenzen: Kein Rahmen, keine Prioritäten, kein ‚was wir nicht sind‘.

Businessseitig ist das kein Stilproblem, sondern ein Vertrauenshebel, der verspielt wird. Unklarheit erzeugt Misstrauen. Misstrauen führt zum Absprung oder zu falschen Erwartungen.

Genau deshalb lohnt sich der nächste Schritt: Sprache so zu schärfen, dass Claims nicht nur gut klingen, sondern als Ankerpunkte Vertrauen bilden und Identität stiften.

Dabei spielen vor allem zwei Faktoren eine entscheidende Rolle:

Zusammengefasst lässt sich also feststellen: es liegt weniger an der grundsätzlich „fehlenden Unternehmenskultur“, sondern an der meist nur oberflächlichen Übersetzung in eine ehrliche Außendarstellung.


Identifikation durch Texte in 4 Schritten

1) Kultur ganz konkret

Die Zeit, in der Texte im Employer Branding nur dekoratives Element waren, ist längst vorbei. Wenn ihr wollt, dass sich die „richtigen“ Menschen gemeint fühlen, müsst ihr eure Botschaften für sie konkret erlebbar machen. Und nicht durch Hochglanz-Phrasen verwischen. Das bedeutet: 

  • Pro Zielgruppe echte 2–3 Kernbotschaften

  • Jede Botschaft auf Wahrhaftigkeit prüfen („Wird das bei uns tagtäglich so gelebt?“)

  • Ein klares Ergebnis: Botschaft und konkreter Nachweis verleihen euren Texten Tiefe. Anstelle des „dynamischen Teams“ könntet ihr beispielsweise direkt beschreiben, wodurch sich die Dynamik im Alltag zeigt: „Bei uns gibt es kurze Abstimmungswege und schnelle Entscheidungen.“ oder „Bei uns übernimmst du für deine Projekte klare Ownership.“

2) Beweise statt Behauptungen

„Wir sind …“ ist ein Satz. Kein Beweis. Bewerbende entscheiden nicht wegen Claims. Sondern wegen Signalen. Sie glauben dem, was ihr zwischen den Zeilen zeigt. Oder auch eben nicht.

  • Verhalten: Entscheidungen, Feedback, Zusammenarbeit (wie läuft es bei euch wirklich? Vor allem, wenn Fehler passieren…)

  • Rahmen: Fokus, Prioritäten, Grenzen (was ist das Kernthema, was ist Ausnahme?) Eine Konkretisierung der oben genannten „abwechslungsreichen Aufgaben“ wäre beispielsweise folgende Ergänzung: „Dein Schwerpunkt ist X. Ab und zu unterstützt du bei Y. Das ist jedoch nicht dein Dauerzustand, sondern findet bei Projektspitzen statt.“

  • Menschen: echte Stimmen/ Einblicke (ohne Hochglanz-Politur)

3) Worte als Markenstimme

Ein „familiärer“ Arbeitgeber, der im Passiv schreibt, wirkt nicht familiär, sondern distanziert. Tonalität ist kein Feinschliff. Sie ist der Lackmustest für eure Unternehmenskultur.

  • Anrede & Nähe: Du/Sie, direkt/distanziert, Aktiv/ Passiv

  • Signalwörter & Tabus: was klingt echt nach euch, was nach austauschbarem Standard?

  • Satzbau: aktiv, konkret, priorisiert vs. passiv, verschachtelt, schwammig

4) Klare Prozesse bei der Text-Erstellung

Wenn in eurem Unternehmen niemand Verantwortung für eure Employer-Branding-Sprache übernimmt, kommen am Ende Stilbrüche und Standard-Phrasen raus. Es geht nicht um perfekte Copy, sondern um ein System, das eure Kulturstimme schützt.

  • Rollen & Review: Wer liefert Inhalt? Wer entscheidet über euren Tone of Voice? Wer finalisiert?

  • 1-Pager-Styleguide: Do/Don’t + 5 Beispiele, die jeder sofort anwenden kann

  • KI-Regel: KI darf unterstützen, aber in klar definiertem Rahmen. Sonst macht sie euch austauschbar.


8 Fragen an eure Employer-Branding-Texte

Gerade zu Beginn ist es nicht immer einfach, den Text-Audit sauber aufzusetzen. Folgende Checkliste kann euch dabei unterstützen:


  1. Würde sich eure Zielgruppe nach den ersten 5 Zeilen angesprochen fühlen oder nur informiert?

  2. Könnte dieser Text 1:1 bei einem anderen Arbeitgeber stehen?

  3. Ist klar, wer gesucht wird? Eure Zielgruppe oder „alle, die irgendwas können“?

  4. Sind eure Behauptungen belegt (Beispiel, Routine, Rahmen)?

  5. Passt der Ton zur Kultur: Nähe, Tempo, Führung? Oder spricht hier ein anderes Unternehmen?

  6. Gibt der Text Orientierung: Fokus, Prioritäten, Grenzen? Oder erzeugt er eher Unklarheit?

  7. Ist die Sprache konsistent über alle eure Kanäle (Karriereseite, Stellenanzeigen, Social Media)? Oder klingt jeder Kanal anders?

  8. Ist der nächste Schritt für Bewerbende offensichtlich: Was soll die Person tun? Wie einfach ist es, sich bei euch zu bewerben?


Die Brücke von #weristgemeint zu #ichbingemeint

Standard-Claims sind nicht per se „schlecht“. Sie verfehlen nur ihre Wirkung, wenn sie beliebig und ohne Beleg bleiben. Employer Branding entscheidet sich nicht (mehr) im Design, sondern in der Sprache. Und diese Sprache ist längst keine Frage des guten Stils mehr, sondern eine strategische Business-Entscheidung: Wer sie dem Zufall überlässt, verliert Talente. Mit entsprechenden Folgekosten in Budget, Produktivität und Reputation.

Klingt der Außenauftritt nicht nach euch, kostet sie euch das Wertvollste: die „richtigen“ Menschen. Denn sie spüren intuitiv, ob aus #weristgemeint ein #ichbingemeint werden kann.